Und es wahr wohl ein wichtiges Ereignis, ein Zufall mit Schicksalscharakter, ein Zusammen-Fall (das Gesetz der Serie), als eine freundliche Seele mir den wohldokumentierten Katalog einer Ausstellung im Kunstmuseum in Basel schickte: Caspar Wolf (1735 – 1783), - einer meiner alten Favoriten - „Landschaft im Vorfeld der Romantik“. Das ist genau die Landschaft, in der sich Saussure bewegt. Und dort braucht man keine Karte. Wolf hat keine Bauern bei der Ernte gemalt und keine schwärmerischen Parklandschaften wie die ordentlichen Rokoko-Maler. Er hat eher die Linien der grossen italienischen Manieristen wie Rosa und Magnasco weitergeführt, aber wo jene über die bevölkerte Landschaft ein Unwetter hereinziehen liessen und sie dämonisierten, beschäftigte Wolf sich mit der verlassenen, menschenlosen Landschaft. Er hat Gletscher gemalt und Hochfjells. Er machte aus dem Umbruch, der bei der Lektüre von Saussure durchdringt, Bilder. Schwankend und unsicher, aber immer deutlicher lobpreisend und ekstatisch, die romantische Einsicht – und Wissenschaft. „Man sieht nichts als unbebaute, unfruchtbare und charakterlose Berge. Das ist ein langweiliger und trister Anblick, in keiner Weise großzügig, und wissenschaftlich gesehen uninteressant.“ Die mangelnde Größe und Wissenschaftlichkeit führt zum guten Rationalismus: „Obwohl die Gletscher schön und einzigarig aussehen, und obwohl sie als Wasserreservoirs nützlich sind, kann man sich über den Platz, den sie beanspruchen, ärgern, und darüber, dass dabei schöne Täler und Almen verlorengehen.“ Und dann der Umbruch, der Weg, der über viele Fragezeichen führt und über das Entsetzen: „Wie lässt sich diese Mischung aus Wunder und Entsetzen in die Seele des Lesers übertragen, die man fühlt beim Anblick dieser gewaltigen Eismassen, die in der erdrückenden Umarmung der sie umgebenden Berge wiederum fast unscheinbar wirken?“ Die entsetzliche Frage, die dem Wagemut entspricht, mit dem Caspar Wolf den Bildraum vom gewöhnlichen Instrumentarium befreit und der leeren Frage des Rhone-Gletschers Platz macht. Die entsetzliche Frage, die schließlich die eigene Einsicht oder die „Philosophie“ der Leere und der Einöde nach sich zieht: „Die Ruhe und die tiefe Stille, die die großen Weiten beherrschten, wurden durch meine Phantasie verstärkt und wirk- ten unheimlich auf mich. Es kam mir vor, als hätte ich als einziger das Universum überlebt und seinen Leichnam vor mir zu Füssen liegen sehen.“ Der Leichnam des Universums. So betrachtete Wolf die Alpenlandschaft: Als eine Ruinenlandschaft – Ruinen einer Natur-Vorzeit.

Textabschnitt aus: Die Alpen (S. 100 ff.), in: In Nebel aufgelöste Wasser des Stromes – Hommage à Caspar Wolf, Aarau 1991. Herausgegeben von Beat Wismer und dem Aargauer Kunsthaus anlässlich der Ausstellung In Nebel aufgelöste Wasser des Stromes – Hommage à Caspar Wolf, 17. 2 – 7.4.1991